Alles halb so wild: EuGH verpflichtet Arbeitgeber zur vollständigen Arbeitszeiterfassung 

Was genau beschlossen wurde und warum es alles gar nicht so schlimm ist

5min

Carolin Weber

15. Juni 2019

Arbeitszeiterfassung


Wir Menschen sind Gewohnheitstiere. Neues macht uns erst mal Angst. Aber mal ehrlich, so neu und verwunderlich ist das Erfassen der Arbeitszeiten nun auch nicht …

Aufruhr bei Skeptikern und fragende Gesichter im Netz:
Ein neues Bürokratiemonster rennt durch die EU!
Alles aus und vorbei – Vertrauensarbeitszeit ade!
Zurück zur Stechuhr …
...eine unverhältnismäßige Unverschämtheit!

Diesen Eindruck bekommt man jedenfalls, wenn man Hashtags wie #Arbeitszeiterfassung, #Arbeitszeit oder #Arbeitsrecht in den letzten Wochen verfolgt hat und diesen Glauben schenkt.

Hallo? Wo ist denn der ganze Optimismus hin? New Work, die 4 Tage Woche – soll das alles Schnee von Gestern sein? Nur, weil die Arbeitszeiterfassung europaweit Pflicht wird? Schwachsinn!

Wem bei den Gedanken an Zeiterfassung auch die Knie schlackern, der sollte unbedingt weiterlesen. Wir klären auf.

Was bisher geschah ...

Schon gewusst? Die Zeiterfassung in einigen Branchen bereits seit mehreren Jahren gang und gäbe ist. Zum Beispiel werden Schichtarbeit und Gleitzeit auch jetzt schon vollständig dokumentiert.

Wir beamen uns mal eben nach Spanien. Denn von dort kam die ursprüngliche Vorlagefrage an den Europäischen Gerichtshof. Eine spanische Gewerkschaft hatte geklagt. Sie wollen einen Ableger der Deutschen Bank verpflichten, die Einhaltung der vorgesehenen Arbeitszeiten ihrer Mitarbeiter sicherzustellen.

Der Deutschen Bank SAE wurde vorgeworfen, den „Zuständigkeiten der Arbeitnehmervertreter im Bereich der Arbeitszeit“ nicht ausreichend nachzukommen.

→ kleiner Hinweis: Die Deutsche Bank verfügt zwar über zahlreiche Regelungen zur Arbeitszeit, aber über kein internes System zur Erfassung der von ihren Mitarbeitern geleisteten Arbeitszeit. 

Das Oberste Gericht beschloss eine verpflichtende Aufstellung der von den Arbeitnehmern geleisteten Überstunden sowie die Übermittlung der Zahl dieser Überstunden am jeweiligen Monatsende an die.

Tja! Folglich stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, die Erfassung der von den Mitarbeitern geleisteten monatlichen Überstunden zur Pflicht zu erklären, wenn es offensichtlich an einem System der Erfassung der eigentlichen Arbeitszeit mangelt …

EuGH verpflichtet Arbeitgeber zur vollständigen Arbeitszeiterfassung ihrer Mitarbeiter 

Wenn wir es genau nehmen, kann es bereits nach dem aktuellen Arbeitsrecht gar nicht zu Überstunden kommen, von denen der Chef nichts weiß. Denn der Arbeitgeber ist auch jetzt schon dazu verpflichtet, jede Stunde die über die üblichen acht Stunden hinausging zu dokumentieren. Man weißt aber oft aus eigener Erfahrung, dass diese Dokumentationspflicht bislang noch recht locker gehalten wird.

→ Achtung: Leitende Angestellte, also angestellte Geschäftsführer etwa, unterliegen nicht dem Arbeitszeitgesetz. Sie können so viel arbeiten, wie sie möchten. Ihre Arbeitszeit muss bisher auch nicht erfasst werden. 

Jetzt fordert der Europäische Gerichtshof in seinem neuesten Urteil zur Arbeitszeiterfassung alle Mitgliedstaaten der EU auf, Unternehmen zu einem objektiven, verlässlichen und zugänglichen Zeiterfassungssystem zu verpflichten. Demnach müssen Arbeitgeber zukünftig die gesamte Arbeitszeit ihrer Beschäftigten erfassen. 

Ihr Ziel ist es, die Gesundheit der Arbeitnehmer durch Einhaltung der Arbeitszeit sicherzustellen, indem sie aufgezeichnet wird.

"Wie genau das Erfassungssystem in Zukunft zu gestalten ist, gibt der EuGH nicht vor." 

Welche Folgen hat das Urteil?

Tick Tock, Tick Tock. Wer hat sie schon in den Ohren? Die Stechuhr wird einen verfolgen. Das erinnert mich ein wenig an die Panik, die Captain Hook verspürte, sobald das tickende Krokodil mit verschlucktem Wecker in seiner Nähe war.

Außerdem führt das Urteil sicherlich dazu, dass Mitarbeiter irgendwelche Scheinaktivitäten eintragen.
… natürlich nicht!

Der Europäische Gerichtshof hat nämlich noch mehr gesagt. Nur findet das in der allgemeinen Berichterstattung anscheinend keinen Anklang...Wie war das mit Ausnahmen bestätigen die Regel?

In Ziffer 63 des Arbeitszeitgesetzes heißt es:

Doch obliegt es […] den Mitgliedstaaten, im Rahmen des ihnen insoweit eröffneten Spielraums, die konkreten Modalitäten zur Umsetzung eines solchen Systems, insbesondere dessen Form, festzulegen, und zwar gegebenenfalls unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs, sogar der Eigenheiten bestimmter Unternehmen, namentlich ihrer Größe;

Ein Spielraum,...unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs … Interessant!
Weiter heißt es im Art. 17 Abs. 1 der EU-Richtlinie 2003/88:

Wenn die Dauer der Arbeitszeit aufgrund von besonderen Merkmalen der ausgeübten Tätigkeit nicht bemessen oder vorherbestimmt ist oder von dem Arbeitnehmer selbst bestimmt werden kann, dürfen Ausnahmen vorgenommen werden.

Nun ist es an Zeit, sich wieder zu beruhigen und das Arbeitszeitkorsett mal wieder in den Schrank zu verbannen 

Ja, es reicht als Arbeitgeber nicht mehr aus, nach Paragraf 16 des Arbeitszeitgesetzes, lediglich die Überstunden seiner Mitarbeiter zu erfassen. Es bedeutet aber eben auch nicht, dass nun in jedem Arbeitsverhältnis akribisch mit Stechuhr gearbeitet werden muss. 

Alles halb so wild

Übrigens geht die Zeiterfassung aller Mitarbeiter ganz einfach und unkompliziert auch per mobile Lösungen via Zeiterfassungs-Apps und webbasierten Cloud-Lösungen! 

In Zeiten, in denen ein Mobiltelefon quasi zum Standardaustattung jedes Menschen gehört, kann sich der Mitarbeiter in sekundenschnelle, mit einem Klick selbst ein- und ausloggen. Zudem sind moderne Zeiterfassungssysteme ohnehin so konzipiert, dass sämtliche Arbeitszeitmodelle – auch Home Office o. ä. – abgebildet werden können.

Klick, wenn man losfährst. Klick, endlich Mittagspause. Klick, Pause beendet.

Und jetzt bitte keine Angst vor dem letzten “Wehwehchen” aus Mai 2018. Es gibt moderne Lösungen, wie zum Beispiel Easypep, die Transparenz und Flexibilität für die Personalwirtschaft bieten – und das alles DSGVO konform.

Wie geht es weiter?

Das Urteil des EuGH zur Arbeitszeiterfassung bringt mehr Transparenz und zwingt die Unternehmen zu Präzision.

Tatsächlich sorgt das Urteil wahrscheinlich für eine grundlegende Sanierung des etwas veralteten Arbeitszeitgesetz und einer darin angepassten Regelung für zum Beispiel Home Office und anderen modernen Arbeitszeitmodellen.
Wie genau das Erfassungssystem in Zukunft zu gestalten ist, gibt der EuGH nicht vor.

Aber vor allem als Arbeitgeber ist es sinnvoll, aufgrund des Urteils, sich mehr mit dem Thema Arbeitszeiterfassung auseinanderzusetzen – schon allein, um sich rechtskonform zu verhalten. 

Wir halten unsere Leser zum Thema Arbeitszeiterfasung Up-to-date. 
Schaue einfach auf unserem Blog vorbei.

Carolin Weber

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